Demenz bei jüngeren Menschen

Demenzerkrankungen werden zunehmend auch bei Menschen im erwerbsfähigen Alter beobachtet. Bei Patienten und Patientinnen im Alter von 45 bis 64 Jahren stellt die Diagnose eine besondere Herausforderung dar, weil Depressionen und Burn-out oft ähnliche Symptome aufweisen. Die Diagnose stellt eine Zäsur dar, sorgt für Klarheit und die Möglichkeit, sich gezielt auf sich verändernde Lebensumstände einzustellen. Neben den Fragen nach Unterstützung für die Betroffenen und pflegenden Angehörigen sowie die Kinder sollen auch möglichst rasch finanzielle und rechtliche Unsicherheiten geklärt werden.

Arbeitsplatz und Leistungseinschränkung

Probleme am Arbeitsplatz führen dazu, dass jüngere Betroffene tendenziell früher ärztliche Hilfe suchen. Der Arzt oder die Ärztin können den jungen Demenzkranken teilweise auch mit medikamentösen Unterstützungspräparaten begleiten, und auch so manch andere Maßnahme hilft mit, den Krankheitsverlauf zu verzögern. Hilfestellung und vor allem der Wille des kollegialen Umfeldes und des Arbeitgebers sind in der Lage, eine verminderte Leistungsfähigkeit auszugleichen, etwa durch Reduktion des Arbeitspensums, das Anpassen der Aufgaben und die Möglichkeit, bei Bedarf Auszeiten zu nehmen. Die Komplexität der rechtlichen und finanziellen Fragen rund um den Arbeitsplatz erfordert eine umfassende Beratung, Versicherungen und Leistungsansprüche sind ein wesentlicher Aspekt der zukünftigen Handlungsfreiheit und Entlastung. Auf keinen Fall ist es ratsam, vorschnell von sich aus zu kündigen. Der Verlust der Arbeit ist auch ein Verlust von Tagesstruktur, von sozialem Gefüge und von Selbstbestimmung. Der Weg in eine teilweise oder ganze Arbeitsunfähigkeit ist gemeinsam mit Arzt und Arbeitgeber abzustimmen, Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung und Frühpensionierung stehen in engem Zusammenhang mit wohlüberlegten Schritten. Dafür sollte auch das Arztzeugnis so präzise wie möglich formuliert sein.

Partnerschaft und Pflege

Das Familiengefüge wird stark erschüttert, Themen wie Verlust und Abschiednehmen rücken näher, und auch die Partnerschaft verändert sich grundlegend. Der betroffene Partner gerät in Abhängigkeit und ist auf notwendige Fürsorge angewiesen. Gleichzeitig fehlt er als Mitverdiener und als Partner in der Kindererziehung. Er muss mit seiner kognitiven Veränderung zurecht kommen – das kann zum Teil auch sehr emotionsgeladen sein, wobei eine externe Begleitung hilfreich sein kann. Für den gesunden Partner heißt das, er verliert die Beziehung, wie sie vorher war, und gleichzeitig kommen enorme Aufgaben und Verantwortlichkeiten auf ihn zu. Wichtige Bedürfnisse können möglicherweise nicht mehr erfüllt werden. Sich bewusst Zeit für sich selbst zu nehmen ist wichtig, auch wenn es nicht leicht fällt – am Ende hält die Struktur zu Hause länger, wenn alle Familienmitglieder von Anfang an gut auf sich achten. Menschen mit Demenz sollen so lange als möglich am normalen Leben teilnehmen, und am besten geht das in der Regel, solange sie zu Hause leben können.

Kinder von jungen Demenzkranken

Häufig leben die jung von Demenz Betroffenen noch mit Kindern und Jugendlichen im gemeinsamen Haushalt. Die Demenzerkrankung eines Elternteils ist für die Kinder schwerwiegend, und manchmal fällt es ihnen schwer, darüber zu sprechen oder ihre Nöte und Sorgen zu thematisieren. Angst um den kranken Elternteil und Scham lassen sie oft in einen Strudel von Gefühlen geraten, die sie überfordern, gleichzeitig sind sie während der Pubertät stark mit eigenen Veränderungen beschäftigt. Die Gefahr, dass Kinder zu kurz kommen ist groß, die Überforderung in der Familie trifft in der Regel alle. Bei schulpflichtigen Kindern sollten deshalb die Lehrer, Schulsozialarbeiter und Schulpsychologen informiert werden, weil es manchmal außerhalb der Familie leichter zu erkennen ist, wann ein Kind Hilfe braucht. Möglichst frühzeitig freie Zeit mit den Kindern einzuplanen, in der andere Themen Platz haben, hilft allen Beteiligten. Gegenseitige Zuwendung ist in jedem Fall die beste Strategie, aber auch Unterstützung von außen ist manchmal angeraten. Oft möchten Kinder gerne helfen, wissen aber nicht wie – und je nach Alter und Persönlichkeit ist es auch sinnvoll, sie in die Betreuung mit einzubeziehen. Ganz sicher aber sollen sie in alle Überlegungen und bei Entscheidungen mit einbezogen werden.

Pflegende Angehörige mit Berufstätigkeit

Bei jung Erkrankten sind meist auch die Lebenspartner noch berufstätig, und die Diagnose stellt viele Fragen an alle Beteiligten. Auch für pflegende Angehörige gilt es, genau abzuwägen, welche finanziellen und persönlichen Folgen eine zu rasche Kündigung oder Reduktion des Arbeitspensums haben wird. Das Familienbudget schrumpft zusätzlich, die Altersvorsorge wird gefährdet. Aber auch das Eingebunden sein in einem gesunden Umfeld ist ein wertvolles Gut, das zunächst gerne übersehen wird. Erst wenn es schwindet, merken viele pflegende Angehörige, dass sie aus ihrer Berufstätigkeit auch Kraft und Bodenhaftung schöpfen. Die Hauptverantwortung für die ganze Familie liegt auf ihren Schultern, organisatorisch gibt es Herausforderungen zu meistern. Der Freundeskreis zieht sich oft ein wenig zurück, aus Unsicherheit oder Hilflosigkeit. Daher soll der Kontakt zum beruflichen Umfeld nicht leichtfertig aufgegeben werden.

Freundschaften

Der gemeinsame Besuch von kulturellen Veranstaltungen, Sport und Hobbys sind die wichtigsten Zutaten für ein aktives und selbstbestimmtes Leben, auch nach der Diagnose. Dafür sind Freunde so wichtig wie die Familie, die sich gegenseitig unterstützen können. Offensiv das Gespräch zu suchen bewährt sich, um Freunden und Verwandten die verständliche Unsicherheit und Überforderung zu nehmen. Am besten ist es, konkrete Hinweise zu geben und Bitten auszusprechen, denn damit können Freunde und Verwandte besser umgehen und sich frei entscheiden, in welcher Form sie Unterstützung beitragen möchten. Gäste einzuladen, Ausflüge und Reisen zu machen oder den Hobbys nachzugehen machen Freude und das Leben bunt und abwechslungsreich. Auch wenn manche Irritation im Gespräch, bei der Orientierung und bei alltäglichen Verrichtungen auftauchen, lassen sich diese mit Wissen um die Erkrankung, mit Verständnis und hin und wieder mit einer Portion  Humor gut integrieren.

Medikamente und Therapieformen

Die Pharmaindustrie forscht fieberhaft danach, aber dennoch: Bis heute gibt es keine Medikamente, die eine Demenz heilen, wohl aber solche, die den Verlauf verzögern und die Symptome lindern können. Je nach Stadium der Krankheit lassen sich die Selbstständigkeit im Alltag, das Verhalten und die Stimmung verbessern. All dies hilft mit, möglichst lange selbstbestimmt zu leben. Depressionen gelten als Risikofaktor für Demenz, sind aber häufig auch eine Begleiterscheinung der Erkrankung selbst und sollen in jedem Fall behandelt werden. Wichtig ist es vor allem, Gefühle wie Angst, Reizbarkeit und Aggressionen ernst zu nehmen und auch nicht medikamentöse Therapieformen oder eine Psychotherapie in Erwägung zu ziehen. Rückzug und Isolation können den Verlauf einer demenziellen Erkrankung beschleunigen, daher ist es ratsam, Beratung und Unterstützung möglichst gleich zu Beginn in Anspruch zu nehmen.

Technologie im Alltag

Die zeitliche und örtliche Orientierung kann bei einer fortschreitenden Demenz in Mitleidenschaft gezogen werden – inzwischen sind allerdings die technologischen Entwicklungen so weit, dass gerade diese Schwierigkeiten leichter gemeistert werden können. Junge Erkrankte haben in der Regel wenig Scheu vor technischen Geräten, und ihr Einsatz kann ihnen und auch den Angehörigen viel Sicherheit geben. Smartphone, Tablets und Notfalluhren sorgen dafür, dass der Weg nach Hause keine Odyssee werden muss. Wenn die Technik im Haus dafür sorgt, dass beispielsweise der Herd sich selbst abschaltet, können alle beruhigt ihrem Alltag nachgehen, und je nach Bedürfnis gibt es einen großen Markt verfügbarer und auch ethisch vertretbarer Möglichkeiten, sich das Leben zu erleichtern.

Autofahren und Demenz

Mobil und flexibel zu sein ist ein wesentliches Merkmal eines gesunden Menschen. Diese Flexibilität langsam einzubüßen weckt nicht nur positive Gefühle, und der Zeitpunkt, über den Führerschein, bzw. das Autofahren zu sprechen, ist meist heikel. Wir wissen es alle, im Verkehr müssen Entscheidungen rasch und sicher gefällt werden, und man gefährdet bei einer Fehleinschätzung der Situation nicht nur sich selbst, sondern auch andere. Das kann natürlich jedem irgendwann passieren, aber bei Menschen mit Demenz gibt es irgendwann einen Zeitpunkt, an dem die Überforderung im Straßenverkehr offensichtlich wird. Es ist in der Regel einfacher, diesen Zeitpunkt durch ärztliche Abklärung zu bestimmen. Innerhalb der Familie kann das Thema zu Missstimmung führen.

Selbsthilfegruppen für jung Erkrankte

In vielen Gegenden gibt es Selbsthilfegruppen für Menschen mit Demenz. Sie dienen dem Austausch und bieten einen geschützten Rahmen, in dem man auch Themen besprechen kann, die Menschen ohne Demenzerfahrung nicht nachvollziehen können. Die Erfahrungsberichte von Menschen mit Demenz in Selbsthilfegruppen sind durchwegs positiv, sie fühlen sich verstanden, akzeptiert und können Schwächen zeigen oder Ängste äußern, die sie innerhalb der Familie nicht besprechen wollen. Etwa, wenn sie sich Sorgen um ihre Angehörigen machen und versuchen, diese vor eigenen Ängsten zu verschonen.

Alleinstehende Betroffene

Die Flut von offenen Fragen, die mit der Diagnose auf den Betroffenen zukommen, ist mit oder ohne familiäre Unterstützung eine Herausforderung. Für Alleinstehende gilt in besonderem Maße, dass sie möglichst früh Beratung und Begleitung suchen, und eventuell auch über einen rechtlichen Beistand nachdenken, solange sie diesen noch selbst bestimmen können, oder wenn absehbar ist, dass die Angehörigen nicht in der Lage sind, die Aufgaben alleine zu meistern. Eine Vertrauensperson zu finden, die eventuell auch eine Patientenverfügung bewahrt, ist ebenso ratsam.